Mittelalter-Charakteristika:
Individuum & Gemeinschaft:
Jeder Mensch verinnerlicht bis zu einem gewissen Grad die Kultur, in der er lebt- ihr Wertesystem, ihre Weltanschauung, ihre Traditionen. Individuum zu sein, bedeutet sich seiner Kultur zu stellen, sich durch selbstreflektion das Eigene gegenüber dieser Kultur bewusst zu machen. In der frühen mittelalterlichen Kunst trägt der dargestellte Mensch kaum individuelle Züge. Nicht das besondere, sondern das beispielhafte waren gegenstand künstlerischer Betrachtung. Individualität fand kaum Berücksichtigung. Das menschliche Leben war eingebettet in den Heilsplan Gottes, die Zukunft war nicht individuell sondern kollektiv, der Mensch als Mikrokosmos Abbild des einen gottgeschaffenen Makrokosmos, dem er unterstand. Jedes Zeichen von Individualität scheint kaum Berücksichtigung gefunden zu haben.
Gruppenzugehörigkeit (Stand):
In Gesellschaften, in denen Individualität so weit zurücktritt wie in der frühmittelalterlichen, mußte das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit besonders ausgeprägt sein. Betrachten wir die Zeitskala der Geschichte, so beobachten wir daß je mehr der Mensch sich entwickelte, sich das Bewußtesein ausgehend vom Einzelmenschen zur Familie, Sippe, Stanmmeszugehörigkeit bis hin zu größeren Formationen wie dem Staat oder der Christenheit, (Abendland) zunimmt. Zuerst scheint es im Mittelalter, als sei der Mensch nur in der Gemeinschaft existenzfähig gewesen. Später jedoch lassen sich erste Zeichen einer Individualisierung erkennen. Ab dem 11.Jhdt. in der Bildhauerei die Bestrebung der portraitähnlichen Darstellung, in der Literatur die Entwicklung vom Monolog zur Ich-Darstellung. In der Ritterepik tritt der Held vom öffentlichen in den privaten Raum. Die Liebe wird wieder als wichtiger Bestandteil des
Lebens entdeckt. Hier prägt vor allem die christliche abendländische Lehre das menschliche Bewußtsein. Ein neues ich-Bewußtsein tritt in den Vordergrund, zunächst nur in höfischen, städtischen oder in der monastischen Elite, später aber auch in weiteren Kreisen. Das Hochmittelalter ist die Epoche der Wiedergeburt menschlicher Individualität.
Freiheit und Abhängigkeit:
Freiheit und Unfreiheit gehören zu den wichtigen Grundbegriffen der mittelalterlichen Sozialgeschichte. Freiheitsrechte waren daher immer eng an das konkrete Machtpotential des Einzelnen gebunden. Weitere Einteilung konnte man auch zwischen den Mächtigen und den Armen erkennen. Mächtig zu sein, bedeutete dem König nahe zu stehen und öffentliche Gewalt auszuüben, militärisch und wirtschaftlich herauszuragen (Adelige). Wie bei der Freiheit, gabe es auch in der Macht zahlreiche Abstufungen.
Sklaven und Unfreie
Die frühmittelalterliche Unterteilung in Frei und Unfrei war zunächst durch die spätantik-römische Tradition bestimmt. nach römischer Auffassung war "Frei", wer volle Freizügigkeit genoss, wer voll "rechtsfähig" war, und öffentlichen Gerichten unterstand (also vor willkürlichen Strafen geschützt war). Im Gegensatz zu dieser Freiheit stand zunächst das Sklaventum. Dieser stand außerhalb jeder rechtlichen Ordnung, er durfte nichts besitzen, nichts verdienen, durfte weder seinen Partner frei wählen, noch gehörten ihm seine Kinder. Die Sklaverei war die wirtschaftliche Grundordnung der Antiken Welt. Im Laufe des Mittelalters jedoch verlor diese jeodch Stück für Stück seine Bedeutung. Wandlungen in Agrarstruktur und technischem Fortschritt machten sie außerdem unrentabel. Im Gegensatz zum Sklaventum, erkannte man dem untersten Unfreien jedoch eines zu. Er besaß zumindest eines - Persönlichkeit. Wenn auch eingeschränkt, als vermögensfähig, wirtschaftete er z.T. in Eigenverantwortung und besaß feste Rechte, die von seinem Herrn nicht ohne weiteres angetastet wurden. Anderseits umfaßte eine Unfreiheit auch genau definierte Pflichten und Dienste, die sich von den Eltern auf die Kinder übertrugen. Grundherrschaft und Lehenswesen bildete sich aus dieser Beziehungsstruktur.
Grundherrschaft
Unter Grundherrschaft versteht man eine Herrschaft, die sich, vom freien Herrentum an Land ausgehend, auf die jeweiligen Bewohner dieses Landes übertrug, sich also zu einem Eigentumsverhältnis an Menschen erweiterte. Diese war automatisch gekoppelt auch an eine Gerichtsherrschaft, welcher der Kreis der Abhängigen ebenfalls unterlag. In den meisten Fällen wurde die frühmittelterliche Grundherrschaft im Rahmen eines Fronhofsverbandes ausgeübt. Hier handelte es sich um einen agrarischen Domänenbetrieb der sich durch die wirtschaftliche Zweiteilung des herrschaftlichen Eigentums auszeichnete. Ein Teil seines Ackerlandes, das Salland, bewirtschaftete der adelige Grundeigentümer unter Hinzuziehung unfreier Arbeitskräfte selbst, die Hufen, gab er an Hörige aus. Als Gegenleistung für die Eigenwirtschaft waren diese zu Abgaben an den Gutsherrn und vor allem zu Frondiensten auf dem Eigenbetrieb (also auf dem Salland) verpflichtet, der nur so produktiv sein konnte. Mit der stückweisen Verpachtung des zunächst selbst bewirtschafteten Sallandes wurde der Frondienst überflüssig und oft von Geldabgaben abgelöst.
Lehenswesen:
Im mittelalterlichen Lehenswesen verlieh der Lehnsherr - dies war zunächst mal der König, aber auch ein reicher Adeliger - auf Lebenszeit einem Lehensmann ein Lehen. Der Lehensmann mußte als Gegenleistung dem Lehensherrn - meist militärische - Gefolgschaft leisten. Die vom Lehenswesen geprägte mittelalterliche Gesellschaftsform bezeichnet man als Feudalismus.
Lehensherr und meist adeliger Lehensmann traten mit der Lehensvergabe in ein gegenseitiges lebenslanges Treuverhältnis ein. Sie schworen einander, nichts zum Schaden und alles zum Nutzen des anderen zu tun. Der Vasall schwor seinem Lehnsherrn Gehorsam und verpflichtete sich zu Diensten wie der Heeresfolge. Der Lehnsherr wiederum sorgte für den Schutz seines Vasallen.
Auch Bistümer und Klöster erhielten Lehen. Mit dem Wandel von einem Heer aller Freien hin zu einer Berufsarmee aus Reitern (Rittern) im 7. und 8.Jahrhundert Dienste das Lehnswesen zu deren Versorgung. Diese wurde auch durch das Land samt den dort lebenden Menschen, aber auch durch Ämter und rechte gewährleistet. Karl der Große belehnte seine Reichsverwalter, die Grafen, mit reichem Grundbesitz, um den Stammesadel zu entmachten.
Geistlichkeit und Weltlichkeit:
Beurteilt man die soziale Herkunft der Repräsentanten der Geistlichkeit, stellt man fest, daß diese ausschließlich aus dem Adelsgeschlecht stammten. Ein Bischof stand in gleichem Rang wie ein Graf oder Herzog, und übte meist administrative Funktionen aus. Er war auch politscher Herrschaftsträger. Der einfache Geistliche dagegen entstammte meist der unteren Gesellschaftsschicht, war unfreier Herkunft und hatte ein äußerst bescheidenes Auskommen. Die Berufung des Klerus war es, zwischen Gott und dem Menschen durch Gebete, Messen und Liturgie zu vermitteln, die des Laien, ihn durch die Früchte seiner Arbeit (welche die Kirche mit dem "Zehnten" im Prinzip 10% - besteuerte und durch Opfergaben, Geld und Immobilienschenkungen materiell zu unterstützen.
Bis zum Ende des Mittelalters wurde die in den verschiedenen Bereichen gezogene Trennlinie zwischen weltlichen und geistlichem Bereich zwar unschärfer - Laien, Männer wie Frauen, wurden zu Predigern, lernten Latein und bildeten religiöse Lebensformen heraus. Insgesamt blieb sie jedoch bestehen und wurde nur selten grundsätzlich in Frage gestellt. Wer diesen Schritt tatsächlich wagte, zweifelte an den Grundlagen der Gesellschaft und endete häufig als Ketzer auf dem Scheiterhaufen.
Herrschaft - König & Fürst:
Das mittelalterlich-deutsche Königtum ist eine Synthese verschiedener antiker Herrschaftsformen. In ihm gingen Elemente der hellenistischen Monarchie wie des biblischen Priesterkönigtums auf, es trat das Erbe des römischen Kaisertums an und übernahm auch Bestandteile des germanischen Heerkönigtums. Im merowingischen wurde Volk und Heer noch weitgehend als Einheit betrachtet. In den Versammlungen entschied der König, wobei die wichtigen Familien ein Mitspracherecht zustand. Deshalb geschah auch keine Thronerhebung ohne Wahl.
Die Kirche vertrat ihr Mitspracherecht durch das Prinzip der Eignung (Idoneität) des Kandidaten. Dies führte gegen Ende des 11.Jhdt. immer mehr zu Spannungen zwischen Kaiser und papsttum, gewnn jedoch erst mit dem deutschen Thronstreit 1198 an bedeutung. Drei Kräfte bestimmten also ursprünglich die Auswahl des deutschen König: Geblüt/Abstammung, fürstliche Zustimmung und kirchliche Anerkennung.
Stadt- & Stadtherrschaft:
Das Hochmittelalter ist gekennzeichnet durch ein starkes Bevölkerungswachstum. Der Aufschwung in Wirtschaft und Handel ging mit dieser Entwicklung seit dem 11. Jhdt. einher und trug zu einer raschen Ausweitung städtischer Siedlungen bei.
Die mittelalterliche Stadt hat ihren Ursprung in drei verschiedenen siedlungschichtlichen Frühformen:
1. der alten Römerstadt (vorwiegend an Rhein und Donau)
2. der Kaufmannsniederlassung (Kaufmannsinnung, der HANSE, vorwiegend an Nord- und ostsee), und
3. dem Marktort (vorwiegend im Binnenland).
Die wichtigsten Merkmale der Stadt, waren die Trennung von herrschaftlichem und wirtschaftlichem Zentrum. Auf der einen Seite der Grundherr mit seiner Ministerialität, auf der anderen Seite die Marktsiedlung mit Kaufleuten und Handwerkern. Hier entstanden u.a. auch die ersten "Verbindungen" - die Schwurverbände, die dann später in weiter gespannten Bürgervereinigungen aufgingen. Mit dem Aufschwung einher ging auch die Forderung nach mehr Autonomie gegenüber den Stadtherren, und entlud sich nicht selten auch in Aufständen. Man stellt nicht grundsätzlich die Infrastruktur der "feudalen Ordnung" in Frage, sondern erstrebte eine Anpassung der politischen und rechtlichen Strukturen an die wirtschaftlichen Erfordernisse der Stadt, als Zentrum des freien Austausches von Waren und Produktion. Der Stadtherr, König oder Landesfürst, verlieh der Stadt eigenes Recht, das dem Bürger in fast allen Fällen Freiheit und Freizügigkeit zusicherte, sobald er länger als "1 Jahr und 1 Tag" innehalb der Stadtmauern lebte.
Mit Beginn des 13. Jahrhunderts, entstand die Gründung sogenannte "Räte", die eine reine Bürgerversammlung waren, die durch den Bürgermeister repäsentiert wurden. Dem gegenübergestellt war der Stadtherr (Graf oder Bischof), dem seine Vertreter, Vogt und/oder Burggraf unterstanden. Ihnen zu Seite standen dann die Schöffen, die im Auftrag des Feudalherren alle Streitigkeiten des täglichen Lebens regelten.
Glauben & Religion:
Geprägt wurde dies in seiner Urform aus der Antike, durch die Apostel- und die Kaiserkirche. In der katholischen Kirche war der bischof zuerst nur einer unter vielen, und entwickelte sich erst später durch die nachfolge Petri zu einer Autorität, die einem kaisergleichen Monarchen gleichstand. Bedingt durch die fortschreitende "Christianisierung" entstand ein dichtes Netzwerk von Pfarrgemeinden. Von den Bischöfen über die Diakone bis hin zu den niedrigen Klerikern, sorgte eine fest Weihe- und Ämterhierarchie dafür, daß der Gläubige religiös und sozial fest in die christliche Gemeinschaft integriert wurde. Hieraus resultierte auch, daß durch die Praxis der Taufe, kirchliche Heirat, persönliche Beichte, österliche Kommunion und die Pflicht zur Teilnahme an der sonntäglichen Messe, eine gesellschaftliche Kontrolle und soziale Uniformisierung erfolgte. Jedes religiöse Streben bedurfte kirchlicher Absegnung, mußte sich in die Gesamtordnung der Kirche einfügen. Göttliches Heil konnte man nur durch den berufsmäßigen Mittler zwischen Gott und dem Menschen - der Kirche und ihren Repräsentanten, erlangen. Häresie bezichtigte man jedem, der sich außerhalb dieser kirchlichen Ordnung und Glaubensvorstellungen bewegte. In ihrer Höchstform, uferte dies dies im späten Mittelalter in der Inqusition aus, die in ihrer Konsequenz zu Hexenverfolgungen führte.
Auch gegenüber "Ändersgläubigen" pflegte man bisweilen ausufernde Maßnahmen. Das Verhältnis zwischen Christen und Juden war bis zum Ende des 11. Jahrhunderts relativ gutnachbarlich. In der folgenden Phase bis zur Mitte des 14.Jhdt. wurden die Juden jedoch politisch wie ideologisch von Staat und Kirche erniedrigt, und teilweise regional verfolgt. Mit Beginn 1348, der großen Pest, begann auch der theologische Antijudaismus sich im einfachen Volk auszubreiten, was in manchen Fällen bis zum Antisemitismus führte.
Die Glaubensauseinandersetzung zwischen Christen und Moslems war im Mittelalter geprägt durch die Kreuzzüge Was den geistigen Austausch der Kulturen anging zeichnete sich - durch wenige Ausnahmen - gegenseitige Kultur-Unkenntnis aus. Eine Ausnahme bildete der Süden Europas - (speziell Sizilien) zur Zeit Friedrichs II. , oder auch im Süden von Spanien aus.
Bildung:
Die mittelalterliche Bildung wurde bestimmt durch die spätantik-römische Schriftkultur, sowie Einflüssen germanischer schriftlicher Überlieferung. Mehr als 90% der Menschen waren in der Regel Analphabeten. Der Stand des Klerikers zeichnete sich hier vor allem als Ausnahme aus. Durch die Kenntnis des Schrifttums wurde auch Macht ausgeübt. Kloster- und Kirchenmänner - also die die Geistlichkeit, wurden häufig zu Staatsdiensten herangezogen. Klöster wurden damit im Mittelalter zum Mittelpunkt der Gelehrsamkeit. Hier wurden antike Werke kopiert und interpretiert, Handschriften erstellt und bebildert. Als einer der ersten förderte Karl der Große den Schreibeifer im großen Stil durch eigenes Vorbild. Durch Otto dem Großen erfolgte eine erneute Bildungsrenaissance. Im späteren Verlauf des Mittelalters fand zunehmend auch die niedrigere politische Schicht, Adel und Bürgertum Zugang zu Bildung und Kultur. Der abendländische Kultur-Begriff wurde nicht mehr nur durch die Einheit von Religion und Staat bestimmt, sondern mehr und mehr durch die volkssprachliche Troubadurlyrik und Minnedichtung (Walther v.d. Vogelweide) in weltliche Themen gerichtet. Die Universität ist eine der großen Errungenschaften des Mittelelters. Erste Anfänge im 12. Jhdt. veränderten im Verlauf dieses Zeitalters die Bildungsinhalte. Logik und Dialektik entwickelten sich, neue wissenschaftliche Möglichkeiten, besonders in Theologie, dem wichtigsten Fach in mittelalterlicher Schulen entstanden. In Paris und Bologna gründete man erste universitäre Einrichtungen. Neue Disziplinen wie Recht und Medizin entwickelten sich. Im Gegensatz zu Frankreich und Italien setzten sich Bildungsinstitute im deutschen Sprachraum erst später durch. 1348 entstand in Prag die erste Universität nördlich der Alpen.